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06.06.2022 - 01:49 Uhr
Franz Fischer Nr. 7798
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Franz Fischer
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Gemeinderat beriet Fortschreibung des Lärmaktionsplans
(Bad Waldsee) - Über die erste Fortschreibung des Lärmaktionsplans Bad Waldsee beriet der Gemeinderat erstmals am vergangenen Montag. Während weitgehend Konsens über Lärmschutzmaßnahmen in den betroffenen Ortschaften herrschte, gab es Dissens über die von der Verwaltung favorisierte Variante für die Kernstadt Bad Waldsee.
Ein Lärmaktionsplan hat das Ziel, die Bevölkerung vor Straßenverkehrslärm an Hauptverkehrsstraßen zu schützen. Als Hauptverkehrsstraßen gelten nach der EU-Umgebungslärmrichtlinie alle Straßen mit einem jährlichen Verkehrsaufkommen von mehr als 3 Mio. Kraftfahrzeugen, was rund 8.200 Kraftfahrzeuge pro Tag entspricht. Nur für diese Straßen gilt eine rechtliche Verpflichtung zur Aufstellung eines Lärmaktionsplans.
Auf Basis von Verkehrszählungen und Hochrechnungen 2016, 2019 und 2021 ermittelte die beauftragte Lärmgutachterin im Gemeindegebiet Bad Waldsee die Straßen:
- B 30 Kreisgrenze Ravensburg/Biberach bis Gemeindegrenze Baindt,
- L 285 Ortsdurchfahrt Reute,
- In der Kernstadt Bad Waldsee: die Frauenberg-, Bleiche-, Friedhof-, Bahnhof- und Schützenstraße.
Auf der L 285 in Gaisbeuren wurden 2021 lediglich 6.769 bis 7.237 Kfz pro Tag gezählt, wodurch der Grenzwert von 8.200 Kfz pro Tag unterschritten ist. Damit besteht keine Verpflichtung für die Aufstellung eines Lärmaktionsplans für diesen Bereich.
Anschließend wurden die Betroffenheiten für die Straßen ab 8.200 Kfz pro Tag und Lärm-Werte ab 65 dB(A) am Tag und 55 dB(A) in der Nacht ermittelt. Durch die um 5 dB(A) reduzierten Werte ergaben sich höhere Betroffenheiten gegenüber dem ursprünglichen Lärmaktionsplan.
Als Lärmschwerpunkt wurden Straßen festgelegt, an denen mindestens 14 Personen von Lärmpegeln ab 55 dB(A) oder mit Pegeln ab 60 dB(A) in der Nacht betroffen sind. Dadurch entfiel an der B 30 die Ortslage Schellenberg sowie in der Kernstadt die Bahnhof- und Schützenstraße.
Als Lärmschwerpunkte wurden schließlich ermittelt:
- B 30 Englerts, Mattenhaus und Bad Waldsee-Nord im Bereich der Fliederstraße,
- B 30 Ortsdurchfahrt Gaisbeuren und Enzisreute,
- L 285 Ortsdurchfahrt Reute,
- In der Kernstadt: die Frauenberg-, Bleiche- und Friedhofstraße.
Das darauf aufbauende Maßnahmenkonzept sieht vor:
- Zukünftig ganztags Tempo 70 auf der B 30 in Englerts und Mattenhaus, statt bisher 100 km/h,
- Nachts Tempo 70 auf der B 30 im Bereich Bad Waldsee-Nord bei den Hochhäusern an der Fliederstraße, bisher 100 km/h,
- Nachts Tempo 30 auf der B 30 in Gaisbeuren, bisher Tempo 40,
- Nachts Tempo 30 auf der B 30 in Enzisreute, bisher Tempo 50,
- Ganztags Tempo 30 auf der L 285 in Reute, bisher Tempo 50.
Tagsüber soll auf der B 30 weiterhin Tempo 100 bei den Hochhäusern an der Fliederstraße sowie Tempo 50 in Gaisbeuren und Enzisreute gelten.
Alle Lärmschwerpunkte, auch die in der Kernstadt, sollen bei der nächsten Fahrbahnsanierung einen lärmarmen Fahrbahnbelag erhalten. Für die B 30 bei Gaisbeuren und Enzisreute werden mittel- bis langfristig Ortsumfahrungen vorgesehen. Die Friedhofstraße soll durch zusätzliche Anschlüsse mit der L 316 und L 300 an die Ortsumfahrung Bad Waldsee entlastet werden.
Drei Varianten für die Kernstadt
Für die Kernstadt Bad Waldsee erarbeitete das beauftragte Ingenieurbüro drei Varianten, von denen die Verwaltung die Variante 2 favorisierte. Die Variante 2 sah auf der Bleiche- und Friedhofstraße 30 km/h ganztags und auf der Frauenbergstraße nachts Tempo 30 vor. Zusätzlich sollte Tempo 30 nachts auf der L 275 Aulendorfer Straße östlich der Reutestraße gelten.
Die Aulendorfer Straße wurde nachträglich wegen einem zu erwartenden höheren Verkehrsaufkommen wegen der neuen Tempo 30-Beschränkungen in der Innenstadt einbezogen. Maßgeblich war die Variante 1 nach der die tägliche Verkehrsbelastung auf der Aulendorfer Straße deutlich über 8.200 Kfz ansteigt.
In Variante 1 war eine ganztägige Geschwindigkeitsreduzierung auf der Frauenbergstraße ab dem Kreisverkehr bis zur Kreuzung mit der Stadthalle vorgesehen. Dadurch hätten sich jedoch massive Verkehrsverlagerungen auf die Richard-Wagner-Straße und Wolfegger Straße mit einer unzulässigen negativen Gesamtbilanz ergeben: Mehrbelastungen in einer Größenordnung von 1.600 bis 1.800 Kfz pro Tag. Variante 1 sah ebenfalls Tempo 30 ganztags auf der Bleiche- und Friedhofstraße vor, wie Tempo 30 nachts in der Aulendorfer Straße.
Weder die Variante 1 noch Variante 2 fanden im Gemeinderat eine Zustimmung. Das Gremium befürwortete Variante 3. Demnach soll künftig in der Bleiche-, Friedhof- und Frauenbergstraße, jedoch erst ab der Tankstelle bis zur Kreuzung mit der Stadthalle, ganztags Tempo 30 gelten und auf der Aulendorfer Straße östlich der Reutestraße Tempo 30 nachts.
Mit Variante 3 kann das Ziel die Bevölkerung insbesondere vor dem Straßenverkehrslärm an Hauptverkehrsstraßen zu entlasten in der Kernstadt nicht erreicht werden, warnte die beauftragte Lärmgutachterin und die Verwaltung. Im Streckenbereich zwischen dem Frauenbergkreisverkehr und der Tankstelle erhalten damit 17 besonders Betroffene keinen Lärmschutz, weder tagsüber noch nachts. Von 31 besonders Betroffenen erhalten damit nur 14 einen Lärmschutz. Zudem steigt das Verkehrsaufkommen in der Richard-Wagner-Straße um 900 Kfz pro Tag und in der Wolfegger Straße um 400 Kfz pro Tag an. In Variante 2 lag die Mehrbelastung in der Richard-Wagner-Straße noch bei 700 Kfz pro Tag und in der Wolfegger Straße bei 300 Kfz pro Tag. Auch die Fahrpläne im ÖPNV müssen gegebenenfalls angepasst werden. Die Verwaltung gab deshalb der Variante 2 den Vorzug.
Intensive Diskussion im Gemeinderat
In der länger dauernden Aussprache kritisierten mehrere Stadträte die unterschiedlichen Tempolimits zu unterschiedlichen Uhrzeiten.
In vielen Wortbeiträgen drehten sich die Diskussionen des Abends jedoch um die Frauenbergstraße. Der Radverkehr solle beachtet und tagsüber die Geschwindigkeit beschränkt werden, um die Sicherheit zu erhöhen. Die Verwaltung konterte, dass es sich um einen Lärmaktionsplan handle und nicht um einen Radverkehrverbesserungsplan. Der Gemeinderat beschloss dennoch mit 18 Ja-Stimmen zu 4 Gegenstimmen und 2 Enthaltungen die Variante 3.
Sonja Wild (CDU) meinte, dass niemand verstehen könne, warum auf der B 30 in Englerts eine Geschwindigkeitsbegrenzung möglich sei, ein paar Meter weiter in Schellenberg nicht und kurz darauf in Mattenhaus wieder.
Stefan Senko (FW) und Wilhelm Heine (CDU) bemängelten den „Schilderwald“ mit wechselnden Tempo-Vorgaben auf den Straßen innerhalb und außerhalb der Innenstadt, der nun durch diesen Lärmaktionsplan produziert werde.
Tina Weng-Kastler (Grüne) regte an, der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ des Städtetags beizutreten, was bereits 160 andere Kommunen getan hätten. Die Initiative fordert den Bund auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig halten.
In der Sitzung wurde überdies bekanntgegeben, dass die B 30 in Gaisbeuren südlich der L 285 sowie ein Teilstück der Bleichestraße in diesem Jahr einen lärmarmen Fahrbahnbelag erhalten sollen. Aber erst für 2024 sei ein lärmreduzierender Fahrbahnbelag auf der B 30 in Gaisbeuren nördlich der L 285 geplant, also im größten Teil des Ortes. In Enzisreute wurde bereits 2010 ein lärmmindernder Belag eingebaut, der in diesem Jahr noch erneuert wird.
Im nächsten Schritt plant die Stadtverwaltung eine öffentliche Informationsveranstaltung zum Lärmaktionsplan. Diese war für den 7. Juni geplant. Da sich der Gemeinderat nun für eine andere Variante entschieden hat, braucht die Verwaltung mehr Zeit, um die neue Faktenlage zu bearbeiten. Die Veranstaltung wird deshalb verschoben.
Nach der geplanten Öffentlichkeits- und Trägerbeteiligung werden die eingehenden Stellungnahmen zum Planentwurf ausgewertet und eine Abwägungs- und Beschlussvorlage für den Gemeinderat vorbereitet. Der abschließende Beschluss des Gemeinderates ist im vierten Quartal geplant. Tempolimits sollen dann kurzfristig umgesetzt werden, da für die Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen die Stadt nun selbst zuständig ist, erläuterte die Verwaltung im Nachgang der Sitzung.